28.10.2009

Wenige Worte

Oh man, es sind so viele Monate vergangen seit ich hier angefangen habe zu schreiben. Viel geschrieben habe ich in dieser Zeit, nur leider fast ausschließlich für meine Magisterarbeit. Es war eine gute Zeit. Ich bin schon ein wenig stolz auf das, was ich da getan hab, was für seltsame Gedankenwege ich gegangen bin und das ich nicht bei 20 Seiten stehen geblieben bin. Eine Menge Text frisst auch eine Menge Zeit, so dass ich den Dingen die mich außerhalb meines Unilebens beschäftigen nur zu selten nachgehen konnte. Viele Gedanken schlummern in meinem Kopf - kurze, erdachte, nicht mehr aktuelle, persönliche, die niemanden interessieren und Gedanke dir mir auf der Seele brennen, ausschweifende. Doch regelmäßig die Kraft und richtigen Worte zu finden ist schwer. Der Anspruch ungewollt zu hoch. Reichen wenige Worte? Sie los werden?


Gerade ist es die Sonne, die auf die braunen Blätter der Bäume vor dem Fenster der Bibliothek scheint - in Mütze, Schal und Handschuh eingepackt würde ich gern durch den Wald laufen. Raus kommen. Frische Luft. Den Kopf durchpusten.

Gerade ist es die Musik, die gefunden werden muss, die da ist und die gehört werden will.

Gerade ist es das Bedürfnis tanzen zu gehen, in der Masse der Menschen zu versinken, nicht wahrgenommen zu werden, eins werden, untergehen, treiben lassen, nachts, stundenlang.

Gerade, in diesem Augenblick würde ich am liebsten in ein Becken voll mit kaltem Wasser springen, abtauchen, die Luft anhalten, ein Zug, zwei Züge. Die Grenzen meines Körpers spüren, weil ich Angst habe, dass Gefühl für ihn zu verlieren.

Stattdessen sitze ich jeden Tag vor meinen Büchern, lerne oder gehe arbeiten. So wie wahrscheinlich sehr viele.


Wenige Worte reichen - für mich.


12.10.2009

Erklärungen

Ein Anruf - Enttäuschung. Die Frage nach dem Warum. Seit Jahren. Eigentlich ist es nicht so schlimm. Eigentlich - aber irgendwie auch doch. Angst. Scham. Angst. Eigentlich – aber, dass wissen nur wenige Menschen. Man ist stark. Man ist normal.

Als normal würden mich wohl auch die meisten Menschen in meinem Umfeld beschreiben. Sie sind maximal darüber verwundert, dass man lieber zur Club Mate greift als zum Bier. Sie fragen. Fragen bleiben im Raum stehen. Es ist nicht so wichtig.

Sind mir die Menschen wichtig, dann versuche ich zu erklären. Mich zu erklären, mich zu rechtfertigen, obwohl ich das nicht müsste. Aber ich muss es – für mich.

Ich bin Krank. Ich sitze nicht im Rollstuhl, brauche keine Krücken, ich verliere keine Haare – man sieht es mir nicht an. Ich sehe nicht krank aus. Ich bin nicht eingeschränkt in meinem Handeln. Ich kann studieren. Ich kann arbeiten. Ich kann feiern gehen und Freunde treffen. Ganz normal eben. Nur schlucke ich jeden Morgen eine Hand voll Tabletten – Morbus Wegener. Nicht vererbet. Nicht ansteckend. Spontane Mutation des Körpers – falsch programmiert, selbstzerstörerisch.

Mit 17 die Diagnose – nicht weiter schlimm dachte ich mir. Fünf Monate später – ich werde das Krankenhaus die nächsten 12 Wochen nicht mehr verlassen. Es sind prägende Wochen. Wochen die mein Leben und mich irgendwie verändern. Im Inneren bis heute. Die heute noch Angst schüren und Tränen in die Augen steigen lassen.

Schmerzen im Magen – unerträglich. Cortison und Co. machen es besser – kurzfristig. Körperlicher Verfall – schnell. Nichts hilft. Ich fühle mich machtlos. Kann aber nicht mehr darüber nachdenken. Mir geht es zu schlecht. Schmerzen im ganzen Körper – er zerstört sich selber. Lässt sich nicht besänftigen.

Medikamentencocktail.

Untersuchungen.

Spezialisten.

Künstliche Ernährung.

Weit weg von zu Hause – meine Eltern, meine Familie immer für mich da.

Eine Nacht – der Kopf macht nicht mehr mit. Hirnblutungen. Er schaltet ab. Es ist ihm einfach zu viel. Die Erinnerung setzt erst eine Woche später wieder ein. In der Zwischenzeit: Intensivstation. Notoperation. Künstliches Koma.

Ich wache auf. Immer noch weit entfernt von der Realität. Ein Film spielt sich ab, den ich nicht steuern kann. Aber es fühlt sich irgendwie gut an. Die Schmerzen sind weg. Mein Körper so schwach, dass jede eigenständige Bewegung unmöglich ist.

Es ist okay. Man macht mir bewusst, dass ich fast tot gewesen wäre. Es ist nicht mehr okay. Wenige Worte bedeuten mehr als Wochen in Ungewissheit. Mir ist schlecht. Ich weine. Heute noch.

Es wurde besser. Das Übel der Schmerzen war beseitigt. Eine lange Narbe blieb zurück – vom Brustbein bis zur Scham. Neue Medikamente stabilisierten den Rest. Der Körper wurde wieder stärker – langsam. Erst greifen, dann sitzen, dann laufen.

Zu Hause. Der Blick in den Spiegel – erschrocken. Eine andere Person schaute zurück. Alte Bekannte liefen in der Stadt an mir vorbei, weil sie mich nicht erkannten. Cortison ist Gott und Teufel zugleich.

Nach einem halben Jahr, in dem ich Krankgeschrieben war, habe ich schnell angefangen wieder ein normales Leben zu führen. Studium in einer neuen Stadt. Neue Freunde und Bekannte und damit auch das Bedürfnis mich Erklären zu wollen. Sie kannten das frühere Ich nicht, aber ich kannte es und die Geschichte dazu und diese beeinflusste und beeinflusst auch heute noch mein Leben. Irgendwie.

Es ist die Angste vor dem was passieren kann, nicht mehr die Stärke zu haben so etwas noch einmal durchstehen zu können. Die Enttäuschungen bei der Nachricht nicht besser oder schlechter werdender Blutwerte. Zerstörung der Hoffnung irgendwann ohne Medikamente leben zu können – Kinder zu bekommen. Beruhigen. Alles hat Zeit. Ich habe Zeit. Hoffentlich.

Ich bin stark dank den Menschen, die darüber bescheid wissen und für mich da sind. Die mich auffangen, wenn er mir schlecht geht. Die sich Sorgen machen. Die mich ganz normal behandeln. Für die mir an dieser Stelle die Worte fehlen, weil ihnen so viele Worte gebühren. Danke.

Ich habe mich erklärt. Selbsttherapie.

(Anm. Dieser Text erschien zuerst auf dragstripgirl.de - soll nun aber auch hier zu lesen sein.)

11.10.2009

Paint it, black!

Wir befinden uns im Jahr 1971. Ich bin 25, meine Haar ist zerzaust und lang. Ich trage enge schwarze, verramschte Hosen und schwarze zerrissene T-shirts. Die Kippe hängt mir den ganzen Tag lässig im Mundwinkel, die Ringe unter meinen Augen werden immer tiefer. In meinem Kopf ist nur Musik und Nichts.


Ich bin männlich und Rockstar. Ich bin "The Rolling Stones". Naja zumindest stehe ich Nacht für Nacht vor 100.000 Menschen und fabiziere Sex pur auf der Bühne. Verschwitzt und in einem Rausch, der sich aus Alkohl, Drogen und Adrenalin zusammensetzt, stolper ich nach 2 Stunden entkräft, glücklich und mit dem Gefühl von Einsamkeit in den Backstagebereich und lasse mich auf ein versifftes Sofa fallen. Ich zünde mir eine Zigarette an, inhaliere tief, schließe die Augen und lege den Kopf in den Nacken. 30 Sekunden Stille, dann platzen die Anderen in den Raum. Im Schlepptau ein Duzend williger Mädchen. Sie und ihre festen Brüste, kleinen Hintern und hübschen Münder langweilen mich. Es sind Hüllen. Es bringt nichts ihnen verstehen zu machen, was das Ganze hier für mich ist. Egal, ich mach mit.

Fünf wache und sechs schlafende Stunden später. Ich öffne in irgendeinem Hotelzimmer meine Augen. Sehen alle gleich aus. Ich fühl mich scheiße. Wie immer. Ich nehm mir ne Kippe und verschwinde im Bad. Auf dem Klo sitzend überlege ich mir, ob man als Rockstar nicht mal son Hotelzimmer auseinander nehmen sollte. Klischees erfüllen. Egal. 

Ich bin wütend und handlungsunfähig. Mit meiner Gitarre sitze ich im Sessel. Ich sitze und starre. Irgendwann gleiten meine Finger über die Seiten. Ich bekomm das alles nicht mit. Am Ende des Tages stehen einige Zeilen auf verschmierten Blättern. Es macht alles keinen Sinn. Und dann...

...das Herz rast. Blut pulsiert in meiner Halsschlagader. Ich geh die letzten Meter. Die ersten Töne, die Masse schreit, das Licht geht an. Ich höre meine Stimme wie durch einen dicke Schicht Wackelpudding. Dafür lebe ich.